Übersetzungen und andere Paradoxe

JÜRG LAEDERACH und STEFAN ZWEIFEL im Gepräch

«Das ist ja so, als hätte es der Autor auf Deutsch geschrieben.» Das meint man oft als grösstes Lob zu Übersetzungen. Doch: Hätte Proust seine «Suche nach der verlorenen Zeit» wirklich so geschrieben, wenn er sie auf Deutsch geschrieben hätte? Hat ihn nicht der Atem und Fluss der Sprache, der Klang der Worte zur Madeleine und den ungehobelten Pflastersteinen geführt? Oder hätte Robert Walser so über seine Spaziergänge geschrieben, wenn er auf Englisch losgezogen wäre? Sicher nicht.

Das dumme Lob von Übersetzungen, die so klingen, als seien sie auf Deutsch verfasst worden, ist ein Lob des dummen Konsums. Man soll Texte verschlingen, jedenfalls nicht wirklich verdauen und schon gar nicht wiederkauen, wie es uns Nietzsche empfahl. Gegen diese marktkonforme Kultur muss angeschrieben werden, gegenübersetzt. Kaum jemand hat als Übersetzer so Gewaltiges geleistet wie Jürg Laederach mit Walter Abish’s Afrikanischem Alphabet, wo im ersten Kapitel nur Wörter mit A, dann im zweiten auch Wörter mit B zur Verfügung stehen. Ein ABC, das uns das Lesen neu lehrt!

Jürg Laederach hat auch Raymond Roussel übersetzt, einen solitären Surrealisten, der im neun Meter langen Auto mit Waschbecken und Badewanne 1926 durch die Schweiz nach Rom fuhr, um das Auto dem Papst vorzustellen – Roussel hat seine Texte aus klischierten Liedzeilen, Reklametexten oder der Adresse seines Schumachers entwickelt, indem er jedes Wort durch ein homophon gleichklingendes ersetzte. So kam er vom Schlafmittel Phrenol zu Bemol und verfasste ein Kapitel über einen Sänger und einen Hund, der mit Blut Wörter spuckt. Kann man Roussel übersetzen?

Stefan Zweifel hat es auch versucht und ist dabei auf eine unbekannte Episode gestossen: Ein Manuskript über einen «Babeliten» – eine gewaltige Übersetzungsmaschine, die alle Sprachen ineinander übersetzen kann und irgendwie wie eine gigantische Waschmaschine mit tausend Barometern aussieht. Ein Kuriosum der Literatur, aus unübersetzbaren Wortspielen entstandener Traum der universalen Übersetzbarkeit. Über dieses und andere Paradoxe zerbrechen sich Jürg Laederach und Stefan Zweifel den Kopf. (STEFAN ZWEIFEL)

Von JÜRG LAEDERACH sind erschienen:
Walter Abish. Alphabetical Africa. Urs Engeler Editor 2002
Raymond Roussel. Die Prädestinierten. 2 Theaterstücke: Der Stern auf der Stirn und Sonnenstaub (L’étoile au front und La poussière du soleil). Übersetzt von Klaus Völker und Jürg Laederach, hrsg. von Klaus Völker. Hanser 1978

Von STEFAN ZWEIFEL sind 2012 erschienen:
Nicolas Bouvier. Der Skorpionfisch. Lenos Verlag
Jean-Jacques Rousseau. Träumereien eines einsam Schweifenden. Matthes & Seitz
Raymond Roussel. Locus Solus. Die andere Bibliothek, Aufbau Verlag

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18. Internationales Literaturfestival Leukerbad
5. bis 7. Juli 2013